Mittwoch, 18. August 2010

Party in der Sardinenbüchse

Jeder wusste, es würde schief gehen

Selbst Wochen nach dem Unglück auf der Loveparade 2010 reißen die erhitzten Diskussionen um die Ursachen nicht ab. Sie erhitzen sich sogar noch immer weiter! Seit dem Unglück schieben sich Adolf Sauerland, Veranstalter und Polizei gegenseitig den Schwarzen Peter zu, sodass niemand mehr wirklich sagen kann, wo es nun gehapert hat.

Ich bin zwar alles andere als von dem Unglück betroffen, doch der Streisand-Effekt hat nun schon mehrmals meine Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt. Ich hab selber mal nachgeforscht und dabei herausgefunden, dass so viele Augenpaare auf derart belastender Weise auf Duisburg gelegen zu haben scheinen, dass jeglicher Sinn und gesunder Menschenverstand auf der Stecke geblieben sein muss. Das ist in meinen Augen aber noch lange keine Entschuldigung dafür, über 1 Mio. Menschen ernsthaft auf ein Gelände buchsieren zu wollen, dass für nur 250.000 ausgelegt war. Die Veranstaltung hat nämlich seither stetig steigende Besucherzahlen verzeichnen können.

“Oh Gott, das ist aber schade – und nicht gut für das Image des Ruhrgebiets. Ich hoffe nicht, dass nun auch noch die Love Parade 2010 ausfällt – zumindest die muss jetzt stattfinden.”

– Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff über Bochums Absage der Loveparade 2009

Nicht nur, dass die beteiligten in ihrem beständigen Glauben waren eine feiernde, u. U. auch angetrunkene Masse von Ravern dieses Kalibers zivilisiert und gutbehalten durch einen Tunnel – den einzigen Weg auf und von dem Gelände – quetschen zu können, der zu einem viel zu kleinen stillgelegten Güterbahnhof führte. Nein, es wurden sogar wahrlich auf den letzten Drücker noch Gutachten als beglaubigt abgestempelt, nur mit dem einen Gedanken den Ruhrpott als “frische, dynamische, bunte und leistungsfähige Region” darzustellen. Wie sich gezeigt hat, war den Besuchern egal, ob der Tunnel schon restlos überfüllt war. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Vermutlich dachten das auch die Veranstalter, sonst hätte Idealismus auch nicht über Verstand triumphiert.

Anders in Bochum: Als die Loveparade 2009 wegen Sicherheitsbedenken abgesagt wurde, hagelte es massenweise Kritik gegen Bürgermeisterin Scholz. Doch wer hätte gedacht, dass ihre damalige Entscheidung ihr heute praktisch als Glanzauszeichnung der Standhaftigkeit und des Verantwortungsbewusstseins zugetragen wird?

“In den Gesprächen mit Polizei, Feuerwehr und der Bahn wurde deutlich, dass wir das nicht hinkriegen können. Selbst wenn wir die Zahl der Besucher runtergerechnet hätten. Die Leute hätten nicht alle in die Stadt gepasst. Punkt.”

– Ottilie Scholz (SPD) zu Spiegel Online

Wie jetzt bekannt wurde, werden Unterlagen betreffend des Unglücks sogar vehement unter Verschluss gehalten. OB Sauerland hat gegen den Blog Xtranews sogar eine einstweilige Verfügung gegen die Veröffentlichung der Anlagen die zum offiziellen Zwischenbericht der Stadt Duisburg gehören erhoben, die ihm womöglich einen der bisher größten Image-Schäden zufügen könnten. Durch Erlassung der einstweiligen Verfügung der Stadt Duisburg vertreten durch Adolf Sauerland hat man aber genau das Gegenteil erreicht. Seit Bekanntwerden hat sich ein Streisand-Effekt zugetragen (kurz: durch Unterdrücken von Information erlangt diese reges Interesse).

Sauerland machte sich seit dem Vorfall allgegenwärtig unbeliebt. Verständlicherweise: Er verschanzt sich geduldig im Rathaus, gibt persönliche Stellungnahmen nur noch schriftlich ab und hielt sich auch vom Trauergottesdienst fern (vermutlich auch besser für ihn). Selbst aus den eigenen Reihen (CDU) wurde er aufgefordert sein Amt niederzulegen. Seine Fassade bröckelt immer mehr und langsam dürfte ersichtlich werden, dass es da etwas gibt, das niemand wissen soll. Von einem angehörigen der CDU erwarte ich allerdings aber auch nichts anderes als ein solches Schmierentheater. Und selbst wenn er sein Amt niederlegen sollte: Das von ihm bevorzugte Abwahlverfahren bewirkt, dass er seine Pensionsansprüche weiterhin geltend machen kann, also auch noch fett abkassiert, wenn er geht! Und wie ich die Lage momentan einschätze, wird es auch so kommen. Ist aber auch nichts Neues, nur diesmal in Form eines Politikers statt eines Managers. Nun ja... Bürgermeister sind ja insofern Manager einer Stadt, also auch nicht weiter verwunderlich.

Auch die Polizei Duisburg, die dortige Staatsanwaltschaft, als auch die Polizei Köln hüllen sich in Schweigen und wollen keine konkreten Infos oder Sachverhalte herausgeben. Auch nicht bei Berufung auf Gesetze, die sowohl für natürliche als auch juristische Personen separat formuliert sind. Stattdessen wird sich mit Gegengesetzen herausgeredet und weiter geschwiegen. Und nebenbei besteht auch Unklarheit über den exakten Aufenthaltsort des besagten Infomaterials. Es ist das klassische Chaos der Bürokratie.

Apropos Chaos: Die von Xtranews zuvor herausgegebenen Anlagen (die durch den Streisand-Effekt nun praktisch an jeder Ecke zu haben sein dürften) sollen eindeutig belegen können, dass Sauerland schon vorher über das Chaos der Organisation der Loveparade in Duisburg bescheid gewusst haben soll. Träfe dies zu, rückt die ganze Tragödie in ein neues Licht. Es würde nämlich bedeuten, dass die Stadt wohlwissentlich Risiken in kauf genommen hat. Es wurden genau die Vorschriften missachtet, mit denen alles verhindert werden konnte. Doch ich bin sicher nicht allein mit der Meinung, dass es hierbei nicht um Spaß am gemeinsamen Feiern ging, sondern rein um Geld. Warum sonst würde es zu einer derart abartigen Vertuschungsaktion kommen, in der niemand Schuld haben will?

Am tragischsten für viele Anhänger der Loveparade war aber sicherlich die Meldung, dass es keine weiteren Loveparades mehr geben wird, aus Angst, das geschehene würde sämtliche weitere Loveparades überschatten. Dagegen hielten in München die irische Band U2. Der Leadsänger Bono plädierte, dass das Festival wegen des Vorfalls weiter abgehalten werden sollte. Die “Freude an der Musik und Kultur” solle hier nicht untergehen.

Weblinks

Loveparade-Gutachten: Die Sache mit den Fluchtwegen - Xtranews
Lageplan der Loveparade 2010 Duisburg - Spiegel Online
Adolf Sauerland (CDU), Duisburgs Oberbürgermeister, mahnt Blog wegen der Veröffentlichung von Loveparade-Gutachten ab - Pottblog

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